Haben Hessen-Forst und Entega das Prinzip etwa falsch verstanden?
Monatelang rätselten Waldschützerinnen und Waldschützer Mühltals über den wahren Grund zur Fällung der durchschnittlich 150 Jahre alten Rotbuchen am Weg zwischen Feldschneise und Vogelschneise im Mühltaler Staatswald. Ab Anfang Oktober 2021 bis Mitte Januar 2022 wurden entlang dieses Wegs durch Hessen-Forst drei Areale hauptsächlich gesunder Buchen annähernd dem Erdboden gleichgemacht. Dabei kamen bis zu 35 Tonnen schwere Fahrzeuge, Maschinen und Geräte zum Einsatz. Diese verdichteten den Boden auf sogenannten Rückegassen massiv. Ein kleiner Teil der gefällten Bäume stand tatsächlich an Wegen, hatte eine abgestorbene Krone und konnte somit zur Gefahr für den dort vorbeiführenden Verkehr werden. Hessen-Forst behauptete trotzdem, dass die großen Buchen im hohen Alter ausschließlich zur Verkehrssicherung gefällt wurden.
Anschließend nahm sich Hessen-Forst die von der Fällung übriggebliebene Population an jungen Buchen und wenigen anderen Bäumen wie Traubenkirschen vor. Nur ein kleiner Teil dieser Bäume durfte – mit einem blauen aufgesprühten Punkt als Zukunftsbaum markiert – überleben. Die restlichen Bäume wurden mit einem 25 Tonnen schweren Bagger und Geräten wie einem Mulcher oder einem Fällgreifer vernichtet. An manchen Stellen wurde nahezu Tabula rasa gemacht. Diese Maßnahme begründete Hessen-Forst mit der Bekämpfung der fremdländischen dort wachsenden Traubenkirsche. Junge Buchen würden dort nur in geringen Mengen und höchstens aus Versehen mit gefällt. Kritische Beobachter all dieser Aktivitäten Hessen-Forsts haben aber Anderes dokumentiert: Die Zahl der gefällten und gemulchten jungen Buchen ist höher als die der vernichteten Traubenkirschen. Besonders absurd ist dabei: Hessen-Forst gab vor, die Traubenkirschen mechanisch mitsamt ihrer Wurzel zu entfernen. Die Wurzeln konnten mit den eingesetzten Geräten aber gar nicht entfernt werden. Sie befinden sich heute noch im Boden und werden höchstwahrscheinlich wieder austreiben. Umso trauriger ist es, dass das erneute Austreiben den jungen Buchen wahrscheinlich schwerer gelingen wird. Buchen sind nämlich nicht so raschwüchsig wie Traubenkirschen und ertragen die dort neu entstandenen Lichtungen ebenfalls nicht so gut.
Am 23.01.2022 offenbarte sich nun, warum all die oben beschriebenen Maßnahmen erfolgt sein könnten: Ein durch Hessen-Forst und Entega beauftragtes rumänisches Unternehmen begann mit dem Aufbau eines Zauns um jedes der genannten Areale. Der Chef der Firma gab an, auch für die Pflanzung neuer Bäume dort verantwortlich zu sein. Auf einem der Areale steht ein Schild, auf dem Hessen-Forst und Entega gemeinsam mit dieser Aktion für sich werben: Entega pflanze in Kooperation mit Hessen-Forst für jeden neuen Kunden einen Baum im hessischen Wald – zum Wohle des Klimas.
Die Frage ist nur, ob auf diesen Arealen im Mühltaler Staatswald überhaupt neue Pflanzungen von Nöten waren. Oder ob nicht andere Gebiete für diese Aktion besser geeignet gewesen wären. Denn Fakt ist, dass es den bisher dort gewachsenen Rotbuchen verhältnismäßig gut ging. Sie haben sich an die vorherrschenden klimatischen Bedingungen relativ gut angepasst. Der Wald in der Umgebung besteht auch hauptsächlich aus Rotbuchen. Warum sollte dort also die neue Pflanzung von Traubeneichen, Weißtannen und Hainbuchen, wie es Hessen-Forst und Entega auf ihrem Schild beschreiben, überhaupt Sinn ergeben? Bisherige neue Pflanzungen durch Hessen-Forst in Mühltal waren nicht gerade von Erfolg gekrönt. Neue Pflanzungen von Linden, Douglasien, Vogelkirschen und Sonstigen hatten auf den kahlgeschlagenen Flächen in unseren Wäldern in den vergangenen Sommern mit massiver Trockenheit und Hitze zu kämpfen. Viele dieser Bäume gingen daher ein oder wuchsen nur spärlich. Durch den am Weg zwischen Feldschneise und Vogelschneise betriebenen Kahlschlag wird das Wachsen wahrscheinlich auch den von Entega und Hessen-Forst gepflanzten Bäumen schwerfallen. Womöglich bereuen wir dann in Zukunft, dass die ehemals dort gewachsenen jungen und alten Rotbuchen leichtfällig geopfert wurden. Sie standen für heimische Artenvielfalt und an den Standort angepasste widerstandsfähige Genetik. Sie speicherten CO2, welches durch ihre Fällung über kurz oder lang wieder freigesetzt wird. Während die neuen Bäume noch lange brauchen werden, bis sie annähernd so viel CO2 binden. Wenn sie überhaupt angehen.
Das Klima zu schützen und Aktionen zum Klimaschutz zu betreiben ist also grundsätzlich nichts Verwerfliches. Es wäre nur wünschenswert, dies auf Flächen durchzuführen, auf denen nicht bereits ein intakter Wald wächst, wie es in Mühltal der Fall war.
Florian Held